Fanrivalität my ass!

Der FC St. Pauli ist ja bekanntermaßen ein „linker“ Verein, der das nicht nur unter den AnhängerInnen, sondern auch innerhalb der Mitgliederschaft und der Vereinsstrukturen lebt und auch gerne öffentlichkeitswirksam zeigt.

Über „Links“ und „Rechts“ als politische Haltung gibt es unendlich viel zu sagen und noch mehr zu lesen, aber das hier ist kein Fachblatt für politische Bildung und obwohl ich relativ sattelfest über Politik diskutieren kann, möchte ich hier lediglich die landläufige Interpretation von „Links“ verwenden, weil es für das, was ich sagen möchte auch völlig ausreicht.

„Links“ ist in allererster Linie Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, häufig begleitet von einer kapitalismuskritischen und progressiven Haltung. So weit, so einfach. In unserer freiheitlichen-demokratischen Grundordnung, die das Grundgesetz gebietet und auch schützt, sind Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit unverhandelbar. Es sind nebenbei auch die Grundpfeiler der meisten Religionen und meistens auch Teil unseres angeborenen und kulturellen Moralkompasses. Kapitalismuskritik und Progressivität, bzw. deren Ausprägungen sind sicher diskussionswürdig. Mit Blick auf Solidarität, Gleichheit und Gerechtigkeit als oberste Ziele, stellt sich die Frage nicht nach dem „ob“, sondern nur nach dem „wie“.

Sorry für die Einleitung, aber die ist wichtig, um zu verstehen, warum es mich gerade so dermaßen ankotzt, dass ich das hier ins Internet schreiben muss:

Die Rivalität zum FC St. Pauli kann nicht sein, dass mensch Plakate mit „Lichtenhagen“ in Frakturschrift mit Sonnenblumen demonstrativ mit hämischem Grinsen zusammen mit einschlägig vorbestraften Tätern zur Schau stellt. Dass mensch Plakate mit „Kategorie CIS“ zeigt und Regenbogenfahnen verbrennt. Allein das Anrücken in Bomberjacken (das Erkennungszeichen der Naziszene in den Baseballschlägerjahren der 90iger) entspringt einer Haltung, die in keiner Weise irgendeinen Gegenpol, irgendeine Opposition oder gar eine andere Meinung gegenüber irgendwas darstellen kann.

Aber auch in Magdeburg oder Dresden, stellen sich immer wieder Personen mit eindeutiger Gestik und Artikulation auf, um irgendeine Gegenposition zu skandieren, die in keiner Weise gesellschaftliche Akzeptanz, vor allem nicht in Deutschland, erfahren sollte. Und auch hier schreitet keine verantwortliche Person ein oder verurteilt und sanktioniert dieses Verhalten entsprechend. Im Gegenteil, solche Vereine verweisen immer gerne darauf, dass sie so wahnsinnig tolerant sind und für andere Werte stehen. Toleranz ist eh‘ ein großer Mist und wird i.d.R. nur gegenüber den eigenen Schwachköpfen gelebt. Die Akzeptanz dieser Werte einzufordern, weil diese eben nicht verhandelbar sind, fällt den verantwortlichen Personen gar nicht erst ein.   

Um es noch deutlicher zu sagen: Wer meint, dieses Verhalten als „Fanrivalität“ verharmlosen zu müssen, der ist eine ausgesprochener GegnerIn der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung oder hat diese einfach nicht kapiert und sollte entsprechend gemaßregelt werden, zumindest sollte die Person nicht in öffentlichen Ämtern und Positionen sprechen und handeln dürfen.

Ich bin es zunehmend leid mir diesen Bockmist von Behörden, PolitikerInnen, Medien und Verbands- sowie VereinsfunktionärInnen anhören zu müssen (und das richtet sich auch gegen die „eigenen“). Wir können darüber diskutieren wieviel Kommerz wir wollen, ob wir 3G-Regeln beibehalten oder an die Vernunft appellieren. Wir können uns in sportlicher Rivalität auseinandersetzen und gerne in gewissem Rahmen Lokalpatriotismus zelebrieren. Aber wer den Grundkonsens des menschlichen Zusammenlebens in unserer Gesellschaft in Frage stellt, weil er/sie unbedingt „dagegen“ sein will, der gehört nicht in die Öffentlichkeit und sollte mit entsprechenden Sanktionen belegt werden.

Den rechten Arm heben und „Sieg Heil“ brüllen ist keine Meinung, ist keine Opposition und keine Rivalität, es ist eine Straftat und das sollte allen Verharmlosern, Beschwichtigern und altmodischen Hufeisenfans klar sein.

Saisonauftakt in Stuttgart

Auf die Ansetzung des Spiels zwischen dem magischen FC und dem Absteiger VfB Stuttgart, fieberte der Autor dieser Zeilen ganz besonders hin. Geboren in der schwäbischen Landeshauptstadt und als glühender Fan der „Roten“ aufgewachsen, ist so ein Zusammentreffen selbstverständlich auch immer wieder eine Reise zurück zu den Wurzeln der eigenen Fußballleidenschaft. Schon als Kind war der Erwerb eines VfB-Bären (ein weißer Stoffteddy mit Mütze und VfB-Trikot) durch Loskauf oder an der Schießbude, das Highlight der Volksfestbesuche mit dem Großvater, der traditionell eher zu den „Blauen“ tendierte. Selbst nach meiner Emigration in die große Stadt vor beinahe 26 Jahren, war ich immer noch ein überzeugter VfBler und die Stadionbesuche gegen die, von der damaligen Partnerin favorisierte, Hertha waren unsere Fußballfesttage.

Oitriddskärtle

Der FC Sankt Pauli war zu dieser Zeit ein von mir äußerst geschätzter Fußballverein, dessen Fanbase ich immer verehrte. Mit zunehmendem Alter und dem damit verbundenen politischen Reifeprozess, habe ich den professionellen Sport / Fußball und somit auch den von mir favorisierten Verein, VfB Stuttgart, immer kritischer gesehen. Fußball blieb immer meine Leidenschaft, aber zunehmend wurden andere Vereine, bzw. andere Ligen interessanter. Der endgültige Bruch kam dann jedoch 2011, als der VfB-Vorstand endgültig beschloss, dass Ihnen Fußballfans gleichgültig sind und es nur noch um Kommerz und Hörigkeit gegenüber DFB/DFL geht. Circa 2 Jahre vorher fing mein latentes Interesse am FC St. Pauli an endgültig in den fußballerischen Vordergrund zu rücken, (hier habe ich das damals im Rahmen eines Blogprojekts aufgeschrieben).

Das Aufeinandertreffen der beiden Vereine als Ligakonkurrenten ist für mich trotzdem etwas Besonderes. Als es dann feststand, dass dies ausgerechnet gleich zum ersten Spieltag der Saison 2016/2017 sein sollte, brachte mich das anfangs ziemlich zum Strahlen. Anfang August bedeutet i.d.R. schönes Wetter und somit die Aussicht auf ein lustiges Grillfest mit alten und neuen Freunden im elterlichen Garten.

Danke für Nix, DFL!

Aber wie zu erwarten war, wurde diese nette Idee, durch die DFB/DFL/SKY/SPORT1-Mafia und ihren unsäglichen Montagsspiele, durchkreuzt.

Die Ansetzung am Montagabend machte es natürlich den üblichen Verdächtigen schwer dabei zu sein. Ein wenig Kompensation war durch die Ferienzeit gegeben, was vielleicht den einen oder anderen Fan dazu bewog einen Abstecher in den fernen Süden der Republik zu machen. Des Weiteren merkt mensch einfach immer wieder die Überregionalität des FC St. Paulis, was dazu führte, dass 3.800 Gästekarten im Vorverkauf weggingen und sich auch noch Vorort lange Schlangen an den Tickethäuschen bildeten. Ein Großteil der in St. Pauli-Insiginien Gewandeten im Gästeblock waren dann auch folgerichtig der schwäbischen Sprache mächtig.

Essen Sie!

Die zwei Mitglieder der Piratenbrigade waren bereits am Sonntag angereist um sich als erstes natürlich der lange entbehrten schwäbischen Küche anzunehmen. Zwiebelrostbraten mit Spätzle und Soß‘, da lacht das Schwabenherz.

Zwiebelroschdbroade ...
Am Montag stieg so langsam das Fußballfieber an, denn nach schier endlosen Wochen voller schlechtem Ersatzfußball, freuten wir uns wieder auf unsere Boyz in Brown und ja, ich gebe es zu, auch ein wenig auf den VfB, in der (geringen) Hoffnung, dass die 2. Liga zumindest den Fans etwas lehren wird. Doch bevor es losging, stand noch ein Besuch auf dem Rohrer Waldfest an. Wenn mensch schon mal da ist.

Trinken Sie!

Die Bekenntnis zum Heimatverein war schon auf dem Waldfest spürbar und als St. Paulianer musste ich mir schon gleich ein paar passende (aber nett gemeinte) Sprüche anhören, vor allem dann, wenn ich in reinstem Stuttgarter Schwäbisch retournierte. Ein Bier und einen Schweinehals später war es dann an der Zeit zum Neckarstadion aufzubrechen.

Waldfeschd

Die Anreise mit der S-Bahn war unauffällig. Zwischen St. Paulianern und VfBlern gibt es keine wie auch immer gearteten Spezialverhältnisse und wenn, dann sind sie eher von freundlichem Desinteresse geprägt. So war es auch nicht wirklich erstaunlich, dass auf der gesamten Hin- und anschließenden Abreise so gut wie keine größeren Polizeikontigente sichtbar waren. Alles war sehr entspannt und auch das gemeinsame Vor-Stadion-Bier, an einem der doch gut frequentierten Bierwägen, war vom Austausch von Freundlichkeiten geprägt. So macht das richtig Spaß.

GäschdeblogEin wenig verwirrend dann der Weg zum Gästeblock, aber überall standen lila-gewandete „VfB-Volunteers“ herum, die einem freundlich den Weg wiesen. Vor dem Gästeblock war dann noch der mobile Merchandisestand und endlich konnte ich die ersehnte Regenbogenflagge erstehen. Die Letzte vom Wagen runter und somit gleich mit Schwenkstöckchen, was den Steward am Eingang zunächst einmal ziemlich verwirrte und er verzweifelt jemand suchte der ihm die Last der Entscheidung, ob das jetzt erlaubt sei oder nicht, abnahm. Schließlich schickte er mich zum nächsten Kollegen, der mich aber nur mir mit einem „viel Spaß“ durchwinkte. Turnbeutel- und Taschenkontrolle der Cargohose sowie das Abtasten entfiel, wie sowieso bei den meisten. Aufgrund des tollen und warmen Wetters reiste mensch eben auch leicht. Dann noch ein Bier auf die Hand, was ziemlich schnell ging, Dank mehrerer geöffneter Verkaufsstellen (klar, die Schwaben wissen eben, wie mensch Geschäfte macht). War das Bier nun mit oder ohne Alkohol, hat das mal jemand recherchiert? Ich meine es war mit  … leider Krombacher und keines der ausgezeichneten lokalen Gebräue. Hat der Konzern halt die Ausschreibung gewonnen *seufz* …

Fußballfans gegen Homophobie

Der Gästeblock im Neckarstadion ist sehr großzügig und luftig, es gibt genügend Auf- und Abgänge, so dass alles ohne großes Gedränge und Geschiebe erreichbar ist. Alles in allem recht angenehm, da könnte sich so manches Stadion eine Scheibe abschneiden. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass überall sehr gute Sichtverhältnisse auf das gesamte Spielfeld herrschen. Soweit war also alles in Ordnung.

Neckarstadion

Was nicht in Ordnung war und damit kommen wir wieder zurück, warum ich einfach diesen Plastikvereinen wie VfB und Konsorten nichts mehr abgewinnen kann, war die permanente und extrem penetrante Dauerbeschallung mit Werbemüll, Jingles und dem „Besten von heute“. Dazu kommen irgendwelche künstlichen und ohne jeglichen traditionellen Hintergrund dahergeblöckten „Vereinshymnen“ von lokalen Szenegrößen, die in ewig gleichem Wolle-Kriwanek-Stil den Heimverein besingen. Selbst bei der Mannschaftsaufstellung versteht mensch kaum ein Wort, weil im Hintergrund irgendein völlig deplatziertes Metalriff dudelt. So geht es bis zum Anpfiff. Während dem Spiel blinkt die Stadionanzeige permanent mit Werbung für jeden nur erdenklichen Blödsinn und was der Stuttgarter Veranstaltungskalender in einem Fußballstadion verloren hat, erschließt sich mir auch nicht. Vielleicht will mensch den Gästen damit suggerieren, dass auch in der Provinz etwas los ist, ich weiß es nicht. Jeder Furz wird natürlich auch noch von irgendeinem unsympathischen Konzern präsentiert. Kaum ist der Halbzeitpfiff verklungen, springt schon wieder die Stadion-PA an und brüllt einem abwechselnd Werbejingles und schlechte Musik entgegen.

Noch schlimmer natürlich potenziert sich das Ganze sofort mit dem Abpfiff: Keine Sekunde für die Fans, alles für den Kommerz. Eine Mannschaft zu beglückwünschen oder gar ein YNWA anzustimmen ist unmöglich, weil einen das Kommerzgedudel bis zum Verlassen des Stadions ohne Unterbrechung in Grund und Boden beschallt. Himmel, was bin ich froh über ein Millerntor, ein Karli oder auch über eine alte Försterei. Aber wahrscheinlich können die Klatschpappenfans dieser Vereine gar nicht mehr ohne Dauerbeschallung, die gehen ohnehin nur zum „Event“ und wollen Unterhaltung … Sorry liebe VfBler, nicht mein Ding, das deprimiert mich zu sehr. Ich hoffe Ihr lernt in der 2. Liga wieder, wie schön Fußballgucken sein kann, wenn man noch selber für Stimmung sorgen muss.

Neckarstadion 2Apropos „lernen“. Wie oben bereits angesprochen, hat uns dieses verfluchte Montagsspielerei ja unseren netten Plan verhagelt. In der kommenden Saison soll es dann auch 5 (!) Montagsspiele in der 1. Bundesliga geben, wobei sich DFL-Geschäftsführer Seifert beeilte zu sagen, dass es dabei auch bleiben würde, das mehr davon „… sportlich keinen Sinn …“ macht. Aha, aber in der 2. Liga macht das sportlich total Sinn, Du Knallkopf?

Ich glaube ja, dass das alles nur Beschwichtigungen sind um das noch verblieben Rest-Live-Publikum in der Klatschpappenliga so langsam an SKY und Konsorten zu verfüttern. Ziel wird es sein, jeden Tag Fußball zu zeigen, um diesen Sport somit profitmaximierend ausschlachten zu können. Mir persönlich ist das noch relativ wumpe, ich interessiere mich ausschließlich für den FC St. Pauli und sehe mir selten bis gar keine anderen Spiele im TV an, auch keine Berichterstattungen. Aber mal sehen was passiert, wenn die fußballbegeisterten Allesseher in den Familien rund um die Uhr den Rappelkasten okkupieren und die Restfamilie langsam auf die Barrikaden geht. Aber bis dahin wird das Produkt schon in den hohlen Konsumentenschädeln verankert und zum „Familienevent für Zuhause“ etabliert sein, Foodora & Co. liefert ja den passenden Fraß dazu. Aber zum Glück ist es „nur“ Fußball …relaxen Sie!

Ach ja, ein Spiel gab es natürlich auch noch und das war gegen jede Erwartung und trotz der verlorenen drei Punkte eigentlich ganz ausbaufähig. Es gibt berufenere Kommentatoren als ich und auf diese verlinke ich hier auch sehr gerne.

Nach dem ersten Spieltag kann mensch sicher nicht viel sagen, wohl eher etwas wünschen. Wünschen würde ich mir für diese Jahr einfach mal mehr Tore. Wenn die Jungs nach dem 1:0 die beiden anschließenden 99%-igen Chancen genutzt hätten, wären wir mit einem 3:0 wohl ziemlich sicher durch gewesen. Stuttgart hatte bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Torchance. Auch beim Gestocher im Stuttgarter Strafraum, kurz vor dem Konter zum Ausgleich, würde ich mir diese Saison wünschen, dass der Fußballgott mal den Zufallstreffer dem magischen FC gewährt. Unsere Abwehr ist nach wie vor gut, aber über 90+ Minuten einen knappen Vorsprung halten ist sehr zäh. Dann reichen eben zwei Konter, wie in Stuttgart, zum Frust. Auch würde ich mir wünschen, dieses Jahr zumindest das Gefühl zu haben, dass der FC St. Pauli ein Spiel auch noch drehen könnte oder nach einem Rückstand bis zum letzten Moment gefährlich bleibt. Ich denke diese Wünsche könnten sich erfüllen, wenn sich mit Picault, Bouhaddouz und Buchtmann ein „magisches Dreieck“ entwickelt. Zumindest andeutungsweise konnte mensch das in Stuttgart sehen. Trotzdem, der Saisonauftakt stimmt hoffnungsvoll, zumal der VfB eben einfach zu den Top-Aufstiegskandidaten zählt und St. Pauli ihnen eine Halbzeit lang überlegen und die andere Halbzeit zumindest ebenbürtig war.

Dienstag ging’s zurück ins dicke B. … und das Leben geht weiter.
Schok'lad