Ihr seid nur ein Punktelieferant…

(Wie immer gilt: Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder und nicht die des gesamten Fanclubs Piratenbrigade 1910 Berlin)

Nun also mal zum Fußball nach Leipzig, für mich eine Premiere. Ich liebe Leipzig, schon alleine weil ich seit über 10 Jahren dort zum WGT gehe. Sachsen wird mir immer unsympathischer und Überlegungen die in Richtung eines „Säxits“ gehen, stoßen bei mir zunehmend auf Gehör …aber nur, wenn Leipzig hier bleibt (Bayern hingegen würde ich ebenfalls gerne abgeben, allerdings auch erst nachdem sich Franken abgespalten hat).

Letzte Saison gab es ja im Vorfeld schon große Diskussionen, ob man als Fußballfan tatsächlich ein Auswärtsspiel gegen diesen …hmmm…Verein (?) besuchen kann. St. Pauli hat sich gegen den Boykott ausgesprochen, aber glücklicherweise war ich im Urlaub und konnte so guten Gewissens dem Spiel fernbleiben.

Astra FTW ...

Diesmal gab’s also keine Ausrede und bevor ich nachher meine Einstellung zur Werbeveranstaltung „Rasenballsport Leipzig“ und dem was mich dabei abstößt vertiefe, hier zunächst einmal Positives und die Aktualitäten rund um die 3 verdienten Auswärtspunkte für den magischen FC.

Auswärtssieg

Wie gesagt, ich mag Leipzig und die Leipziger. Ich habe ferner auch ein gewisses Verständnis dafür, dass man in einer solchen Stadt, mit einer echten Fußballtradition gerne einen Verein in einer oberen Liga hätte. Das Zentralstadion ist ein tolles Fußballstadion auch wenn es keine vernünftigen Stehplätze gibt und man ganz schön Kondition braucht bis man endlich an seinem Platz ist. Das Stadion war mit über 41.000 Zuschauern Auserkauft!. Laut Aussage des Stadionsprechers wohl zum ersten Mal in der „Geschichte“ dieses Unternehmens und das bei einem Schnitt von i.d.R. 22 – 25.000 Besuchern. Neben den knapp 5.000 Gästefans waren wohl noch etliche St. Paulianer in den Heimblöcken. Und der Großteil des „heimischen“ Publikums wollte wohl mal sehen, wie das mit dem Fußball richtig geht.

Zentralstadion zu Leipzig

Für uns war die Anreise trotz der extrem frühen Zeit sehr bequem, für mich persönlich schon Routine, denn mein Arbeitsplatz liegt ja „dreiviertelsweg“ auf der Regionalverkehrsstrecke nach Leipzig. Unsere kleine Piratenbrigadeabordnung wuchs auch schnell auf eine größere Einheit an, natürlich zum Großteil bestehend aus den allseits bekannten Nasen aus dem heimischen Oberbaumeck.

Umsteigen in Falkenberg

In Leipzig angekommen wurden wir sofort von der Rennleitung empfangen. Freundlich und eher hinweisend, als reglementierend. Wir konnten uns alle am Bahnhof frei bewegen und es gab keinerlei „Kanalisierung“ wie sonst üblich. Das war nicht zu erwarten, denn es gibt zwar keinerlei nennenswerte Rivalität zu den Leipziger Fans und das Verhältnis ist eher von (einseitigem) Desinteresse geprägt, aber die Leipziger Polizei und vor allem die sie unterstützende (sächsische) Bereitschaftspolizei genießen keinen guten Ruf. Also so gesehen, Hut ab und ein Lob an die Beamten. Kein Lob hingegen für den Apparat. Gefühlte tausend Wannen und ein Hubschrauber, man kann das Geld auch zum Fenster rauswerfen. Wenn sich jemals wieder ein Politikclown dazu erdreistet, Fußballvereinen die Kosten eines Einsatzes aufzubrummen, dann kann man in jedem Fall die Rechnung kürzen. Ein Bruchteil hätte es auch getan.

Schön war, dass Shuttlebusse bereit standen, denn das Stadion ist doch ein Stück weit entfernt und nicht so trivial zu erreichen, wenn man sich nicht auskennt. Natürlich fuhren die Busse mit Eskorte, wie es sich für Staatsgäste gehört. Auf dem Hinweg sogar mit einem effektiven Räummotorrad, das hätten wir uns auch auf dem Rückweg gewünscht, denn die mittlerweile heiße Mittagssonne setze uns dann doch zu.

Fanshuttle

Nach dem kleinen Fußmarsch entlang dem Elsterbecken, kamen wir am Stadion an, wo wir mit großem Hallo die übrigen bekannten Hamburger, Leipziger, Berliner und sonstige braun-weißen Gelichter begrüßten. Ein Sterni-Verkäufer mit eiskalter Ware war perfekt positioniert und machte den Umsatz seines Lebens. Und das Schöne an Stadionbesuchen ist einfach, dass es manchmal auch nette Überraschungen mit den dazugehörigen Bildern gibt ….

Stilleben mit Schnegge

Wie schon erwähnt, ist das Erreichen des Blocks nur mit einem gewissen Maß an Kondition zu bewältigen. So schön das aussieht, bei dementsprechenden Temperaturen ist man bei der Ankunft gleich mal durch mit den Textilien. Glück für uns, dass der Gästeblock die ganze Zeit im Schatten lag und ein angenehmer Wind durch das Stadion pfiff. Klimatisch ein absoluter GlücGästebergksfall.

Interessanterweise gibt es wider Erwarten im Stadion keine Werbung, aber das ist eigentlich auch nicht erstaunlich, da ja dieser „Event“ eine einzige Werbeveranstaltung ist. Klar, dass auch eines dieser albernen Plüschmaskottchen rumspringt. Der Einlauf der Mannschaft hört sich an, wie der Vorspann eines alten Sandalenschinkens im Kino und die Choreo der Heimfans mit Meister Yoda und einem Sinnspruch, der an irgendein Gemeinschaftsgefühl appellieren sollte, nett aber substanzlos angesichts der nicht vorhandenen Geschichte des verkauften SSV Markranstädt. Vor dem Anstoß gab’s auch noch eine Gedenkminute für den kürzlich verstorbenen Mayer-Vorfelder. Der Gästeblock beteiligte sich daran nicht, Respekt vor einem Toten reicht nicht für das, was ein MV zu Lebzeiten an Mist gebaut hat.1.

Dann aber Anpfiff und das Ergebnis wissen wir ja bereits. Es war ein Kampfspiel, auf beiden Seiten. Das Tor von Thy kurz vor der Halbzeit war verdient, gut herausgespielt, dennoch überraschend. Zu diesem Zeitpunkt neutralisierten sich beide Mannschaften eher. Zwar hatte RB mit einem Pfostenschuss die höherprozentige Torchance. Die Boys in brown waren aber insgesamt aggressiver, zielstrebiger und hatte mehr Chancen den Führungstreffer zu erzielen, was ja dann auch folgerichtig passierte. Nach der Halbzeit ging es im Prinzip so weiter. RB eher harmlos, der magische FC mit einer einwandfreien Abwehrleistung. Was mich jedoch irgendwann noch in den Wahnsinn treibt, ist die immer zunehmende Schludrigkeit im Angriffsspiel nach der (knappen) Führung. Es werden dann zu viele Chancen leichtfertig vergeben, Spielzüge buchstäblich sorglos versaut. Normalerweise geht das ja schief. Ich schätze unsere Mannschaft als nicht so glücklich ein, einen knappen Vorsprung über eine längere Zeit zu halten. Auch bei einer wirklich guten Abwehrleistung reicht eine Unaufmerksamkeit, ein Querschläger und schon fängt man wieder von vorne an, bzw. baut den Gegner auf. Diese Nachlässigkeiten im Angriff kann man sich erlauben, wenn man mit 2-3 Toren führt. Aber sinnlose Ballverluste durch Pässe ins Leere bringen nichts, noch nicht mal Zeit. Dennoch will ich nicht meckern. Sie haben es sehr gut verteidigt und auch (im Nachhinein betrachtet) ungefährdet überstanden. Auch die völlig sinnlosen 5 (!) Minuten Nachspielzeit, welche nur durch irgendwelche Verschwörungstheorien zu rechtfertigen waren, wurden souverän und abgeklärt heruntergespielt, zudem hätte man auch hier durchaus noch den Sack zumachen können.

Oi!

Aber alles vergessen, es war eine gelungene Vorstellung und eine Genugtuung gegenüber dieser Veranstaltung namens RB Leipzig. Mit all deren Kohle kochen die schlussendlich auch nur mit Wasser.

Die Rückfahrt nach Berlin war eher ereignislos, aber freudestrahlend und die 3 Punkte erfüllten unsere Herzen…

3 Punkte

Ja, „Rasenballsport Leipzig“. Wo liegt der Unterschied zu Leverkusen, Hoffenheim oder den VW-Vereinen Bauern, Wolfsburg und Ingolstadt, sowie einer HSV AG ohne 50+1 Beschränkung? Eigentlich keiner, es ist nur die vorläufig letzte Perversion der Kommerzialisierung des Fußballs in Deutschland2. Bei allem Antikapitalismus meinerseits, ist es nicht mal so sehr die Geschäftemacherei mit dem „Freizeitvergnügen Fußball“, was mich stört.3 Vielmehr stößt mich die Art und Weise ab, wie etwas in eine völlig stumpfsinnige Beliebigkeit verwandelt wird.

„Beliebigkeit“, ich muss das erklären, denn es erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Beliebigkeit ist für mich gleichbedeutend mit Stillstand, Nichtengagement, Gedankenlosigkeit, Gleichschaltung, Manipulierbarkeit, Kritiklosigkeit und alles was daraus für diese Gesellschaft erwächst. Beliebigkeit, das sind für mich z.B. auch „gemischte“ Musikfestivals, bei denen Hiphopper neben Metalbands spielen und sich elektronische DJ-Sets mit handgemachtem Punkrock abwechseln. Der Veranstalter hat dabei eine Rechnung: Ein „Musikstil“ hat 10.000 Fans, also müssen 4 „Musikstile“, 40.000 (zahlende) Fans haben. Beliebigkeit ist auch, wenn einem die Fresse von Reichsbürger Naidoo von zig Werbeplakaten entgegengrinst und Vox eine weitere ebenfalls völlig beliebige Castingshow mit diesem Idioten produziert und Konzertbesucher mit Schulterzucken oder „Ja, aber…Floskeln“ die Finanzierung dieses Scharlatans verteidigen. Beliebigkeit ist es, wenn man Nazis, Rassisten, Homophobe, etc. relativiert, indem man sofort über „Linke Chaoten und Extremisten“ schwadroniert, die ja “ auch nicht besser sind“. …

Schwarz- und Weißmalerei ist schlecht, aber noch schlechter ist grau ohne jegliche Kontur, ohne Kante, ohne Worte die zum Nachdenken anregen, nur graues Rauschen, Einheit, Uniformität…für diese Beliebigkeit, für das „ist doch egal, alles schick“ ist Rasenballsport Leipzig ein weiteres Synonym. Für sich genommen harmlos, zusammen mit dem Geist, der sich dahinter verbirgt, gefährlich.

Red Bull wollte St. Pauli kaufen! „Ihr steht doch auch für Coolness, Party, feiern und so“ …das als „Gemeinsamkeit“ mit einem zum Kotzen schmeckenden Gesöffs eines geschäftigen Österreichers? Dahinter steht: keine Kritik mehr am System und/oder an der Gesellschaft. Keine Ambitionen mehr auf eine bessere Welt. Kopf zu machen, sich beherrschen lassen, nicht mehr nachdenken. Keine Opposition mehr, ruhig gestellt durch Konsum, finanziert durch 1-2 prekär bezahlte Vollzeitjobs, aber dafür bekommen wir „Party“ rund um die Uhr…

UPDATE 28.08.2015: Deshalb zum Beispiel … 

  1. Ich darf das noch mehr sagen: Ich bin Stuttgarter. War die Hälfte meines Lebens VfB-Mitglied. MV war während meiner Schulzeit Kultusminister und in einem dunklen Kapitel meiner Jugend (welches ich heute gern ungeschehen machen würde) hatte ich sogar persönlichen Kontakt zu ihm
  2. In den USA ist das Standard, in Spanien, Großbritannien, Frankreich, Italien weit fortgeschritten. Die dortigen Fans bejubeln uns darob unserem Widerstand, haben aber den Status Quo bei sich wohl anerkannt.
  3. Der FC St. Pauli hat, laut einer aktuellen Studie, die viertstärkste Vereinsmarke aller 36 1. und 2. Ligaclubs. Und so uninteressant das eigentlich klingt, so sehr freut es mich, wenn der FC St. Pauli erfolgreich seine Ideale in klingende Münze umsetzen kann. Dass dies eine fortwährende Gratwanderung darstellt ist mir klar, aber auch das gefällt mir am FC St. Pauli, man kann sich immer einbringen und jeder drohende Gleichgewichtsverlust auf diesem Pfad wird diskutiert und mitgestaltet. Lieber verzichten wir auf etwas, als das wir dafür unsere Ideale auf dem Altar der Gewinnmaximierung opfern.

2 Gedanken zu „Ihr seid nur ein Punktelieferant…

  1. Pingback: Presse 27.08.2015 | rotebrauseblogger

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